Weibliche Genitalbeschneidung FGM/C
Informationen für Fachkräfte
Insbesondere Fachkräfte im sozialen, pädagogischen und medizinischen Bereich benötigen ein größeres Netzwerk unterstützender Strukturen, um betroffenen und bedrohten Frauen und Mädchen reflektiert und kompetent begegnen zu können. Es gilt, Prävention, Intervention und Versorgung für die Betroffenen zu verbessern und Mädchen vor Beschneidung zu schützen.
Für weitere Informationen www.fgmhessen.de
oder UEFGM
Die Praktik
Weibliche Genitalverstümmelung ist eine rituelle Praktik, bei der meist jungen Mädchen ohne medizinische Notwendigkeit die äußeren Genitalien vollständig oder teilweise entfernt werden. Der Zeitpunkt der Verstümmelung variiert sehr zwischen ein paar Tagen nach der Geburt bis zu kurz vor der Hochzeit, der Großteil der Mädchen werden jedoch im Alter zwischen vier und zwölf Jahren dieser Praktik unterzogen.
Auch die Art, wie FGM/C durchgeführt wird ist unterschiedlich. In vielen Fällen gibt es sogenannte Beschneiderinnen, die die Verstümmelungen durchführen. Das geschieht unter sehr unhygienischen Bedingungen ohne jegliche Betäubung mit Gegenständen wie Scherben, Rasierklingen oder auch den Fingernägeln. Teilweise wird FGM/C jedoch auch von medizinischem Personal in Praxen und Kliniken durchgeführt, was zu Unrecht den Eindruck erweckt, dass es ein risikoloser Eingriff sei, außerdem verstößt er gegen die ärztliche Ethik. FGM/C ist und bleibt immer ein schwerer Eingriff in die körperliche Unversehrtheit von Mädchen und Frauen.
Es gibt sehr unterschiedliche Arten, wie verstümmelt wird, jene sind unter anderem abhängig von der Region und Ethnie der praktizierenden Community.
Die Formen der Verstümmelung wurden von der WHO in vier Typen eingeteilt, die als Orientierung dienen können.
- Typ 1 Klitoridektomie
Hier wird den Mädchen der äußere sichtbare Teil der Klitoris teilweise oder vollständig herausgeschnitten. Dies kann beim Mann mit der Entfernung des Penis gleichgesetzt werden. - Typ 2 Exzision
Zusätzlich zur Klitoris werden die inneren Labien (kleine Schamlippen) und teilweise die äußeren Laien (äußeren Schamlippen) entfernt. - Typ 3 Infibulation
Der äußere Teil der Klitoris, die inneren und äußeren Labien werden herausgeschnitten und bis auf eine minimale Öffnung zusammengefügt, diese dient zum Austritt von Urin und Menstruationsblut. In manchen Fällen bleibt der äußere Teil der Klitoris hier erhalten. Vor dem ersten Geschlechtsverkehr muss die entstandene Hautplatte aufgeschnitten werden, um eine Penetration zu ermöglichen, danach werden die Frauen und Mädchen wieder verschlossen. - Typ 4
Alle weiteren Praktiken, die nicht medizinisch notwendig sind und die weiblichen Genitalien schädigen, dies sind unter anderem Ätzen, Verbrennen oder Einstechen der Klitoris oder Vagina.
Die Folgen
Ein solch einschneidender Eingriff hinterlässt natürlich schwere Spuren bei den Betroffene auf unterschiedlichen Ebenen. Welche Folgen und in was für einem Ausmaß diese eintreten, ist individuell sehr unterschiedlich.
Akute körperliche Folgen
Schätzungsweise 25% der Mädchen sterben während der Genitalverstümmelung oder an den Folgen davon. Dies wird jedoch nicht mit der Verstümmelung in Verbindung gebracht, sondern gilt dann z.B. als Gottes oder Allahs Wille.
Die Mädchen erleiden während der Prozedur häufig Schockzuständen, extreme Schmerzen und starke Blutungen. Oft werden sie dabei festgehalten und wehren sich, dies kann Verletzung von umliegenden Gewebe und Knochenbrüche zur Folge haben. Durch die unhygienischen Bedingungen kann es zu Blutvergiftungen und Infektionen in Harnröhre, Eierstöcken und Gebärmutter kommen.
Chronische körperliche Folgen
Eine Genitalverstümmelung kann langfristig zu Unfruchtbarkeit aufgrund der immer wiederkehrenden Infektionen führen, auch Inkontinenz kann auftreten, wenn das umliegende Gewebe beschädigt wurde. Viele leiden unter chronischen Schmerzen. Es kommt zu starken Menstruationsbeschwerden und Blutrückstau bei von Infibulation (TYP 3) Betroffenen.
Schwierigkeiten bei der Geburt
Wenn die Vaginalöffnung verengt ist, kommt es häufig zu einer längeren Austreibungsphase, die sehr gefährlich für Mutter und Kind sein kann. Viele Kinder erleiden, während sie im Geburtskanal feststecken, Hirnschädigungen oder sterben durch Sauerstoffmangel. Die Mütter haben enorme Schmerzen und ein erhöhtes Risiko für Wund- und Harnwegsinfektionen sowie Blutvergiftungen.
Psychische und soziale Folgen
Das bei der Prozedur Erlebte hinterlässt nicht nur äußerliche Wunden und Narben, in vielen Fällen bleibt den Mädchen und Frauen ein Trauma. Die erfahrene Gewalt, die Angst und Schmerzen können zu posttraumatischen Belastungsstörungen, Depressionen, Angst- und dissoziativen Störungen führen. Da die Mädchen oft von ihren eigenen Verwandten der Verstümmelung ausgesetzt werden oder diese dabei assistieren, kann es zu Bindungsstörungen und Vertrauensverlust kommen.
Die Auswirkung auf die Sexualität der Frauen und Mädchen ist unterschiedlich, die sexuelle Empfindsamkeit ist häufig (stark) eingeschränkt und Betroffene fühlen sich unvollständig, jedoch ist dies nicht immer so. Beschnittene Frauen können trotz allem ein erfülltes Sexualleben haben.
Verbreitung/ Zahlen
Die weibliche Genitalverstümmelung ist eine der größten und wenig bekannten Menschenrechtsverletzungen, weltweit sind schätzungsweise 200 Mio. Frauen und Mädchen davon betroffen und es werden jährlich 3 Mio. weitere Mädchen verstümmelt.
In manchen Ländern sind fast alle Mädchen und Frauen von FGM/C betroffen (z.B. Somalia, Ägypten), in anderen Ländern ist die Praktik nur unter bestimmten Ethnien in Teilen des Landes verbreitet.
FGM/C wird in mehr als 48 Ländern der Welt praktiziert, im nahen Osten z.B. unter den Kurdinnen im Irak und Iran, auf der arabischen Halbinsel im Jemen und Saudi Arabien, in Asien unter anderem in Sri Lanka, Pakistan, Indien, Malaysien und Indonesien und in einigen Ländern des afrikanischen Kontinents. Hier ist FGM/C am weitesten verbreitet, in 29 Ländern werden Mädchen und Frauen der Verstümmelung unterzogen, u.A. sind dies Sudan, Äthiopien, Eritrea, Kenya, Nigeria, Sierra Leone und Burkina Faso.
Durch Migration wird die Genitalverstümmelung auch in Europa, Amerika und Australien ein Thema. Nach Schätzungen leben in der EU momentan etwa 500.000 Betroffene, davon ca. 58.000 in Deutschland. 13.000 Mädchen in Deutschland sind davon bedroht genital verstümmelt zu werden.
Die Gründe
Weibliche Genitalverstümmelung ist eine soziale Norm mit dem Ziel, die weibliche Sexualität und Frauen generell zu unterdrücken und zu kontrollieren. Diese Gewalt wird in patriarchalen Strukturen genutzt, um die männliche Vormachtstellung zu sichern.
Der Druck, die Tochter zu verstümmeln ist enorm, da unbeschnittene Frauen und Mädchen aus der Gesellschaft verstoßen werden und somit in Kulturen, die auf Gemeinschaft basieren, nicht überlebensfähig sind.
Um diese schwere Gewalt aufrecht zu erhalten, braucht es tragfähige, ideologische Rechtfertigungen, die genannten Gründe der Praktizierenden sind vielfältig und abhängig von Wertesystem, Glauben und Region, u.A. sind das:
- FGM/C als Ritual, um eine Frau zu werden
- Reinheit, Sauberkeit (unbeschnittene Frauen dürfen z.B. kein Essen servieren)
- Tradition oder Religion
- Bewahrung der Jungfräulichkeit
- Sicherung der Familienehre
- Rechtliche Lage
Betroffenen begegnen
Immer öfter begegnen Fachkräfte aus verschiedenen Bereichen Frauen und Mädchen, die von weiblicher Genitalverstümmelung betroffen sind und unter körperlichen oder psychischen Folgen davon leiden. Vielen ist das Thema neu, es kommen Fragen wie: Wie spreche ich es an? Wie reagiere ich? Wie kann ich überhaupt helfen?
FGM/C wird weiter praktiziert, auch in Deutschland (oder bei einer Reise ins Heimatland), daher ist es besonders wichtig gefährdete Mädchen zu erkennen und davor zu schützen.
Fragen, die helfen können, eine Gefährdung zu erkennen:
- Stammt die Familie aus einer Region, in der FGM/C praktiziert wird? Hier ist wichtig, sich genau zu informieren, denn auch wenn manche Länder eine hohe Prävalenzrate haben, wird nicht in allen Landesgebieten verstümmelt
- Sind Mutter, Tante, Schwester(n) schon von FGM/C betroffen?
- Ist die Familie sehr traditionsbewusst, an traditionellen Geschlechterrollen orientiert?
- Wie ist die Haltung der Familie zu FGM/C, wird die Praktik als positiv oder harmlos dargestellt?
- Möchte das Mädchen selbst sogar beschnitten werden?
Hierbei ist es wichtig, das Mädchen zu informieren, dass sie in keinem Fall in solch eine Gewalttat ihr Einverständnis geben kann
- Ist eine Reise in das Herkunftsland geplant? Wird von einem wichtigen Ereignis gesprochen, oder gibt es ein Verbot über Reise oder Ereignis zu sprechen?
Wie übernehme ich selbst Verantwortung?
- Informieren sie sich über weibliche Genitalverstümmelung, regen sie dies auch im Kolleg*innenkreis an, auch durch Fortbildungen
- Sprechen sie das Thema bei Verdacht an, hilfreiche Tipps dazu gibt es weiter unten ; denken sie daran, dass sie dadurch die Unversehrtheit eines Mädchen schützen könnten
- Schaffen sie gemeinsam mit anderen Institutionen einen Rahmen für neu Zugereiste, indem sie sie sobald wie möglich über den Kontext von FGM/C in Deutschland informieren. Also zum strafrechtlichen Verbot, Asylrecht und den möglichen körperlichen und psychischen Folgen
- Organisieren sie Unterstützung für Mädchen und Frauen, schauen sie, was ihre Bedürfnisse dabei sind, benötigen sie medizinische Versorgung, psychische/ soziale Betreuung, Schutz vor der Familie, etc.?
- Achten sie darauf, das betroffene Familien längerfristig begleitet werden, damit dem Risiko der Genitalverstümmelung nachhaltiger entgegen getreten werden kann
Schutz von minderjährigen Mädchen
Bei einem akuten Verdacht einer Gefährdung:
Beraten sie sich frühzeitig mit Kolleg*innen und nehmen sie die Unterstützung anderer Stellen in Anspruch, sie können sich mit Fragen jederzeit an uns wenden, an Kinderschutzbeauftragte, und den ASD.
Informieren sie das Jugendamt oder andere zuständige Stellen im Fall des Verdachts oder der konkreten Gefährdung eines Mädchens.
Weibliche Genitalverstümmelung fällt unter den §8a SGB VIII Kinder- und Jugendschutzgesetz, daher sind Fachkräfte bei einer (potentiellen) Gefährdung verpflichtet, jene dem Jugendamt zu melden. Das Jugendamt kann daraufhin eine Inobhutnahme und weitere Schutzmaßnahmen für das Mädchen veranlassen.
Im Umgang mit Betroffenen ist wichtig herauszufinden, was die Frau oder das Mädchen möchte und braucht, und ihr diese Unterstützung zu organisieren. Dies kann die medizinische Versorgung sein, psychologische Unterstützung, ein Asylverfahren, Unterstützung zur Selbständigkeit, Unabhängigkeit von Familie/Mann u.v.m. Hierbei ist wichtig, dass die Unterstützung fachkundig ist, den kulturellen Hintergrund respektiert, einfühlsam reagiert und eine individuelle Lösung sucht, da FGM/C ein sensibles Thema für die meisten Betroffenen ist.
Telefonische Beratung zu folgenden Sprechzeiten:
Montags von 10 bis 12 Uhr
Donnerstag von 11 bis 13 Uhr
Telefon 0561 71 785
Außerdem haben wir einen Anrufbeantworter, auf den jederzeit gesprochen werden kann, wir rufen dann zurück.
Jede Form der Beratung kann auf Wunsch anonym erfolgen. Wir unterliegen der Schweigepflicht.
1. Mädchenhaus Kassel 1992 e.V.
Annastr. 9
34119 Kassel

Wir helfen dir
- wenn du beschnitten bist und Schmerzen und Probleme damit hast.
- wenn du weißt, dass ein Mädchen in deinem Umfeld beschnitten werden soll und du es verhindern willst.
- wenn du nicht beschnitten bist und Angst hast, dass dir das bei einem geplanten Besuch in der Heimat passieren soll
- wenn du Fragen zu Sinn und Unsinn von Beschneidungen hast und jemand zum Reden brauchst
- wenn deine Familie will, dass du deine Tochter beschneidest
Mit freundlicher Unterstützung von:
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